Nachhaltig leben

Ob die Deutschen für eine Mobilitätswende bereit sind, ist mir komplett egal

Katja Diehl ist Mobilitätsexpertin und als Referentin, Politikberaterin, Rednerin und seit Kurzem auch als Autorin unterwegs. Seit 15 Jahren setzt sie sich für das Thema Verkehrswende ein. Die UmwetBank hat sie in Nürnberg zum Gespräch getroffen.

Frau Diehl, gerade kommen Sie von der Frankfurter Buchmesse. Ihr Titel „Autokorrektur“ war auf der Shortlist für den deutschen Wirtschaftsbuchpreis. Wie ist es gelaufen?

Die zehn Nominierten durften zwei Minuten lang präsentieren. Während die meisten die Zeit dafür genutzt haben, ausschließlich ihr Buch vorzustellen, habe ich in dieser Zeit dafür meine bereichsübergreifende Arbeit platziert. Der Leser:innen-Preis ging dann – für mich völlig überraschend – mit einer Zustimmung von 30 Prozent an mich. Ich habe vor Freude geschrien, weil ich damit überhaupt nicht gerechnet habe. Vor fünf Jahren wäre es noch undenkbar gewesen, dass mein Buch, das mehr sozial als technisch ist und den Menschen in den Fokus stellt, überhaupt auf die Shortlist kommt. Allein das hat mich schon sehr gefreut.

 

Sie sind in einer Zeit aufgewachsen, in der der Stellenwert des Autos stetig zunahm, bis es schließlich als Selbstverständlichkeit galt. Wann war für Sie der Punkt erreicht, diesen Automatismus nicht mehr hinzunehmen?

Ich wollte in erster Linie immer nur gut und sicher unterwegs sein und hatte auch nie einen Bezug zum Auto. Ich glaube, es hilft auch, relativ pragmatisch auf so ein Verkehrssystem zu blicken. Denn für manche bedeutet es Legitimation, für andere Limitierung. Ich identifiziere mich mit keinem Verkehrsmittel. Obwohl ich meine beiden Fahrräder sehr dafür liebe, dass sie mir meine Alltagsmobilität ermöglichen. Irgendwann hat sich in mir das Bild dieser vielen Autos verfestigt, die immer nur herumstehen. Ich möchte, dass alle Verkehrsmittel gleichwertig sind im System.

 

Das Auto ist immer noch der Deutschen liebstes Kind und gilt vielen als Statussymbol. Sind sie schon bereit für eine Mobilitätswende?

Das ist mir ehrlich gesagt mittlerweile komplett egal, ob sie bereit dafür sind, denn wir haben eine Klimakatastrophe. Ich will, dass der Deutschen liebstes Kind einfach nur eine Form von Mobilität ist. Die echten Kinder müssen endlich in den Fokus, vulnerable Gruppen müssen in den Fokus. Menschen mit Behinderung oder wenig Geld müssen in den Fokus. 13 Millionen Erwachsene haben keinen Führerschein und 13 Millionen Kinder sind zu jung für einen Führerschein. Das sind 26 Millionen Menschen, eine riesige Gruppe, die keine Lobby hat.

In einem anderen Interview habe ich deshalb vor kurzem gesagt, dass die Verkehrswende noch gar nicht begonnen hat. Denn wenn die Zulassungszahlen weiter steigen, und das sind sie 2021 um weitere 400.000 Autos, dann läuft da irgendetwas verkehrt. Die Klimakatastrophe bringt jetzt Druck in den Kessel – ohne sie würden wir das bestehende System immer noch nicht auf den Prüfstand stellen.

Die Verkehrswende hat noch gar nicht begonnen.

Katja Diehl Mobilitätsexpertin, Autorin

Wie ist Ihre Einstellung zum Auto – nutzen Sie selbst noch eines?

Ich habe Zeit meines Lebens noch nie ein Auto gehabt. Ich hatte lediglich mal einen Dienstwagen, als ich bei einem Logistiker gearbeitet habe und die Dependancen in Industriegebieten lagen, die ich ohne Auto nicht erreichen hätte können. Am Anfang fand ich das sogar noch witzig, weil ich vom Vorgänger einen komplett übermotorisierten blauen Toyota Corolla übernommen hatte. Innerhalb von ein paar Wochen hatte ich den Spaß daran aber komplett verloren.

 

Anti-Auto-Aktivistin, Nahverkehrs-Lobbyistin oder Auto-Basherin – es gibt viele Begriffe, mit denen Sie tituliert werden. Welche Bezeichnungen würden Sie selbst verwenden und welche lesen sie weniger gerne über sich?

Dass ich mich bei meiner Kritik auf das Auto konzentriere, ist dem System selbst geschuldet. Was soll ich denn auch machen? Ich muss das Auto hinterfragen, denn das Auto macht die Probleme. Es macht Lärm, ist Quelle von 61 Prozent der CO2 Emissionen im Transportsektor, es ist die größte Mikroplastikquelle, es versiegelt, weil jedes Auto in etwa 100 Quadratmeter Fläche für sich beansprucht. Es ist eine Scheindebatte, zu glauben, man könnte die Verkehrswende umsetzen, ohne die Privilegien des Autos zu hinterfragen. Ich sehe mich eher als mobilisierende Person. Und in meiner Vision ist das Auto noch da – aber nicht in der Dominanz wie bisher. Jede:r sollte die Möglichkeit dazu haben, ein Leben ohne eigenes Auto führen zu können.

Sie stechen mit Ihren Thesen mitten in das Wespennest der Auto-Lobby. Wie fallen die Reaktionen aus?

Entscheidend ist meistens, ob man mir überhaupt zuhört und ob ich bis zum ersten Komma komme. Ich kann das Thema Mobilität aber nicht loslassen. Ich habe es mit der Zeit einfach immer mehr umarmt, dass mir täglich Kritik entgegenschlägt. Ich habe irgendwann aber auch umarmt, dass ich vielleicht nie ankomme, sondern immer auf dem Weg sein werde. Aber den möchte ich gestalten – zum besseren für alle.

 

Sie waren bis vor kurzem Bundesvorständin des Verkehrsclubs Deutschland. Mit welchen Fragen haben Sie sich in diesem Gremium beschäftigt?

Ich habe das vier Jahre lang sehr gerne gemacht, es war aber an der Zeit, weiterzuziehen. Ich bin jetzt unter anderem im Fachbeirat Elektromobilität tätig und gespannt, was ich dort bewirken kann. Letztlich geht es immer darum, ein Team zu bilden und Kompetenzen zu bündeln. Ich fand es schon cool, dass so ein Verband auf mich zukommt und mich fragt: „Wollen wir Dinge nicht gemeinsam verändern?“

Ich denke, ohne die Autoindustrie selbst schaffen wir es auch nicht. Aber der Fokus muss weggehen von dieser Autozentrierung, diesem Besitz von Autos. Ich habe Gestaltungswillen, sehe mich aber darin bestätigt, nicht in die Politik gegangen zu sein. Weil ich so, wie ich jetzt agiere, viel freier handeln kann. Ich habe mich mit dem Mobilitätsthema auch deswegen so sehr beschäftigt, weil ich gemerkt habe: Es gibt so viele Lösungen, wir müssen es nur ernst meinen mit der Transformation.

Es ist eine Scheindebatte, zu glauben, man könnte die Verkehrswende umsetzen, ohne die Privilegien des Autos zu hinterfragen.

Katja Diehl Mobilitätsexpertin, Autorin

Wie sehen diese Lösungen aus Ihrer Sicht konkret aus?

Das Auto muss alle Privilegien verlieren. Dienstwagen- und Dieselsubventionen müssen weg. Abstellflächen verknappt und bepreist werden. Geteilten Verkehren Vorrang in Finanzierung und Fläche gegeben werden. Städte müssen von geparkten Autos befreit, der Raum zwischen den Häusern den Menschen zurückgegeben werden. Die 15-Minuten-Stadt bietet hier viele Chancen, wieder gemischte Quartiere zu schaffen, in denen alles in 15 Minuten auch ohne eigenes Auto zu erreichen ist. Das schafft nicht nur Entschleunigung, sondern auch Räume, die resilienter gegen die Herausforderungen der Klimakatastrophe sind.

Auf dem Land würde ich das Familienauto klein und vollelektrisch fahren lassen. Geladen mit einer eigenen Photovoltaikanlage. Der Zweit- bis Viertwagen kann obsolet werden, wenn beispielsweise auf dem Land die Nahversorgung für die Menschen besser möglich sein wird. Es dürfen keine weiteren Zersiedelungen stattfinden, sondern es muss systemisch gedacht werden. Neubau erst, wenn mobile Infrastruktur schon geschaffen wurde – also Nahverkehr und sichere Radwege. Darüber hinaus könnten ad hoc die Lösungen, die es in der Stadt bereits vermehrt gibt, auf dem Land Mobilitätslücken schließen: E-Scooter und Leihräder bringen uns zur nächsten Haltestelle oder dem nächsten Bahnhof. On-Demand-Rufbussysteme gewährleisten eine Wahlfreiheit in der persönlichen Mobilität.

 

Der Untertitel Ihres Buchs „Autokorrektur“ lautet „Mobilität für eine lebenswerte Welt“. Wie sähe diese Welt denn aus?

Ich möchte einfach raus aus der Tür gehen können, ohne zu überlegen, worauf ich achten muss, um nicht verletzt zu werden. Einfach raus auf die Straße, die dann keine Auto-Straße ist. Und es gibt vor allem Muskelmobilität. Vielleicht fährt hier und da ein autonomes Kleinstfahrzeug vorbei – für Menschen, die bestimmte Bedürfnisse an Mobilität haben. Dann höre ich Kinderlachen und sehe, wie Leute, die auf Bänken sitzen, sich unterhalten. Es ist total grün und die Menschen machen gemeinsam Urban Gardening.

 

Frau Diehl, herzlichen Dank für das interessante Gespräch.